Der Kassenarzt kann frei entscheiden, welche Leistungen er erbringen will

KV Hessen widerspricht Sozialgerichten

2000 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: ambulant operieren 1/2000, 41-42

Kürzlich hat das Sozialgericht Schleswig-Holstein entschieden, daß Vertragsärzte Sterilisation durchführen müssen, auch wenn sie nicht medizinisch indiziert sind (Az.: L 6 Ka 52/97). Das Gericht steht auf dem Standpunkt, daß Vertragsärzte alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbringen müssen, wenn sie dazu in der Lage sind.

Eine ähnliche Haltung hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen am 21.10.1998 geäußert (Az.: L 11 B 35/98 KA). Der Vertragsarzt dürfe nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen Leistungen des Kernbereichs der GKV ablehnen, wenn er diese Leistungen als Privatbehandlung anbietet.

Offensichtlich wollen beide Gerichte die Vertragsärzte zwingen, Leistungen der GKV zu erbringen, auch wenn diese Leistungen medizinisch nicht indiziert oder Leistungen in "roten Zahlen" sind. Dieses ist der Versuch der Sozialgerichte, Vertragsärzte mit der Knute des Gesetzes zu drangsalieren, um das jetzige System der Gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten. Dabei verstoßen diese Gerichte eindeutig gegen das Grundgesetz, daß uns freiberuflich tätigen Ärzten die Berufsfreiheit, die Therapiefreiheit und die Würde des Menschen zugesteht.

Gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen hat der Unterzeichner Stellung genommen und dargelegt, daß dem Urteil des LSG die Basis fehlt, nämlich die Definition, was zum Kernbereich und was zum Randbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung gehört (BAO-Info I/99, 26-28). Zusätzlich hat die KV Hessen gegen dieses Urteil Stellung bezogen, weil das Gericht gar nicht den einzelnen Vertragsarzt, sondern nur die KVen zur Sicherstellung der vereinbarten Leistungen zwingen kann. Vertragspartner für die Sicherstellung sind nämlich die KVen und die Krankenkassen und nicht der einzelne Kassenarzt/Vertragsarzt (H.-F. Spies, K. Hahne-Reulecke, Ärzte Zeitung 29. Juli 1999). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses Positionspapieres der KV Hessen sollen einige Passagen zitiert werden:

" ... aus Sicht der KV Hessen ... steht ... im Vordergrund der Grundsatz, daß kein Vertragsarzt gezwungen werden kann, bestimmte Leistungen aus seinem Fachgebiet (selbstverständlich erst recht nicht aus anderen Fachgebieten) im Rahmen der GKV anzubieten, wenn er dafür keine angemessene, d.h. zumindest kostendeckende Vergütung erwarten kann. Dies hat das BSG in seinem Urteil vom 17. September 1997, Az.: 6 Rka 36/97 (‚rückwirkende Budgetierung‘) bestätigt. ...

Die Zulassung verpflichtet den Vertragsarzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. ... Auch der EBM oder der Bundesmantelvertrag definieren nicht den Umfang, in dem der einzelne Arzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet ist, sondern nur den Umfang der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt. Die Sicherstellung der vertragsätztlichen Versorgung innerhalb des dort definierten Umfangs obliegt nicht dem einzelnen Arzt, sondern der Kassenärztlichen Vereinigung. Diese hat dafür Sorge zu tragen, daß alle zum Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung gehörenden (im EBM aufgelisteten) Leistungen in ausreichendem Maße angeboten werden. So ist die Sicherstellung solange nicht gefährdet, wie es andere niedergelassene Ärzte gibt, die in einem ausreichenden räumlichen Einzugsgebiet diese Leistungen erbringen.

Kann die Kassenärztliche Vereinigung die Sicherstellung dieser Leistungen mit niedergelassenen Ärzten nicht gewährleisten, muß sie gegebenenfalls auf die Erteilung entsprechender Ermächtigungen zur Abdeckung dieser Versorgungslücke hinwirken. ...

Ferner ist für eine Kassenärztliche Vereinigung keinerlei Rechtsgrundlage erkennbar, aufgrund derer einem Arzt untersagt werden kann, bestimmte Leistungen privat anzubieten und abzurechnen; die Kassenärztliche Vereinigung hat nur innerhalb des Kassenarztrechtes Rechtsbeziehungen und damit Einwirkungsmöglichkeiten zum niedergelassenen Vertragsarzt, nicht im privaten Bereich.

Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten:

In Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist kein Vertragsarzt verpflichtet, Leistungen aus dem sogenannten Randbereich seines Fachgebietes anzubieten, wenn diese mit unwirtschaftlichen Investitionen verbunden sind.