Krankenkassen streiten Vertragsärzten die Meinungsfreiheit ab
2002 +++ Bernd Halbe +++ Quelle: ambulant operieren 2/2002, 64-65 Das Sozialgericht Köln hat aktuell am 06.02.2002 in einem Urteil
die Entscheidung des Berufungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV
Nordrhein im Zusammenhang mit dem Entzug einer Zulassung zur Teilnahme an
der vertragsärztlichen Versorgung bestätigt. Hintergrund der Entscheidung
war das Verhalten eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit ambulanten Operationen.
Versicherte Patientinnen sind vor Durchführung von ambulanten Operationen
in der Praxis Informationsschriften ausgehändigt worden, mit denen sie vor
die Wahl gestellt wurden, eine Behandlung als Kassenpatienten auf Chipkarte
mit dem Nachteil, auf eine Warteliste gesetzt zu werden, oder aber eine
Privatbehandlung mit Kostenerstattung durch den betreffenden Vertragsarzt
zu wählen. Für diesen Fall wurde den Patientinnen die Option eingeräumt,
den Operationstermin selbst zu wählen. In den Informationsschriften wurden
die Patientinnen über die wirtschaftliche Situation, insbesondere die Vergütung
von ambulanten Operationen aufgeklärt und Ihnen dann die unterschiedlichen
Wahlmöglichkeiten dargestellt. Den Patientinnen wurde zugesichert, dass
Ihnen keine Kosten bei der Wahl der Kostenerstattung entstehen. Den Patientinnen
wurde klar und deutlich auch die Alternative der Behandlung als Kassenpatientin
auf Chipkarte offengehalten. Insoweit wurde darauf hingewiesen, dass der
Gesetzgeber eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlung
vorsieht. Es wurde eine Warteliste geführt, die medizinische Notwendigkeiten
für den OP-Termin selbstverständlich berücksichtigt. Dem Vertragsarzt wurde
seitens des Berufungsausschusses vorgehalten, lediglich aus monetären Gründen
ambulante Operationsleistungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung
auszugliedern, um privat abzurechnen. Es wurde unterstellt, dass die Patientinnen
einem psychischen Druck ausgesetzt würden, dem sie sich nicht entziehen
konnten. Mit der Begründung, der Vertragsarzt sei nicht bereit und in der
Lage, sich in das System der gesetzlichen Krankenversicherung zuverlässig
einzuordnen, ist ihm die Zulassung durch den Berufungsausschuss entzogen
worden, nachdem der Zulassungsausschuss zuvor eine gröbliche vertragsärztliche
Pflichtverletzung, die eine Entziehung der Zulassung rechtfertigen würde,
nicht gesehen hatte. Selbst wenn man jedoch einen Pflichtenverstoß im Verhalten
des betroffenen Vertragsarztes sehen würde, liegt jedenfalls kein gröblicher
Verstoß in diesem Sinne vor. Das BSG hat in Entscheidungen vom 14.03.2001
(B 6 KA 67/00 R und B 6 KA 54/00 R) entscheidend darauf abgestellt, dass
das Naturalleistungsprinzip ein grundsätzliches Strukturprinzip der GKV
darstellt. Es muss in diesem Zusammenhang jedoch berücksichtigt werden,
dass die vom BSG behandelten Vorfälle sich in den Jahren 1995 bis 1997 abspielten,
als es die Möglichkeit der Kostenerstattung für alle Versicherten nicht
gab. Erst im Jahr 1998 hatten sämtliche Pflichtversicherten die Möglichkeit,
die Kostenerstattung zu wählen. Im übrigen sei die Frage an dieser Stelle
gestattet, wie in einem Hinweis auf die zulässige Kostenerstattung eine
Aushöhlung des Naturalleistungsprinzips gesehen werden kann und zwar insbesondere
dann, wenn wie in dem hier zu entscheidenden Fall der Arzt den Patienten
ausdrücklich zusichert, dass für diese keine zusätzlichen Kosten entstehen.
Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips muss unter dem Aspekt der Erforderlichkeit
gerade geprüft werden, ob eine dermaßen gröbliche Pflichtverletzung i.S.v.
§ 95 Abs. 6 SGB V vorliegt, dass durch sie das Vertrauen der Kassenärztlichen
Vereinigungen und der Krankenkassen insbesondere in die ordnungsgemäße Behandlung
der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnung durch den Arzt
so gestört ist, dass diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht
zugemutet werden kann. Das BSG hat aber gerade im Urteil zum Az. B 6 KA
67/00 R, in dem ein Arzt bestimmte Leistungen ausschließlich nur noch gegen
Privathonorar erbracht hat, lediglich eine einfache Pflichtverletzung des
Arztes angenommen. Ein Verweis wurde in diesem Verfahren für angemessen
gehalten. Diese Auffassung hat das BSG vertreten, obwohl dem Arzt in diesem
Fall seitens der KV wiederholt mitgeteilt worden war, dass sein Verhalten
als rechtswidrig angesehen werden konnte. Dieses Urteil ist vor dem Hintergrund
zu sehen, dass sowohl das Bundessozialgericht als auch das Bundesverfassungsgericht
die Ungeeignetheit i.S.d. § 95 Abs. 6 SGB V bei gröblicher Verletzung
vertragsärztlicher Pflichten vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
dahingehend auslegen, dass eine Zulassungsentziehung als ultima ratio nur
dann gerechtfertigt ist, wenn ein geringeres Mittel nicht als ausreichend
angesehen werden kann, um den betroffenen Arzt nachhaltig zur Erfüllung
seiner vertragsärztlichen Verpflichtungen anzuhalten (BVerfG SozR 2200,
§ 368a Nr. 6; BSG SozR 2200, § 368a Nr. 15). In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Köln wurde
dem Arzt dann auch noch unterstellt, dass er nach wie vor nicht systemtreu
sei, da er sich im Rahmen der Veröffentlichung eines redaktionellen Beitrages
dahingehend eingelassen hatte, dass ein Vertragsarzt Leistungen der GKV
aus ökonomischen Gründen verweigern darf. Unabhängig davon, dass dieser
Artikel vor der Rechtsprechung des BSG vom 14.03.2001 veröffentlicht worden
war, mutet es schon seltsam an, wenn der Vertragsarzt die jedem Bürger zustehende
Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht mehr zugebilligt
wird. Was dem einen recht ist, ist dem anderen noch längst nicht
billig. Während in Nordrhein eine Zulassung entzogen wird, wenn auf die
Kostenerstattungsmöglichkeit hingewiesen und GKV-Patienten diese angeboten
wird, werden in Hessen und Rheinland-Pfalz ambulante Operationen nur noch
bei vorheriger schriftlicher Kostenübernahmeerklärung seitens der Patienten
durchgeführt. Seitdem die AOK in Hessen den Strukturvertrag über das ambulante
Operieren zum Ende September 2001 gekündigt hat und ein neuer Vertrag bislang
nicht zum Abschluss gekommen ist, stapeln sich bei den Sachbearbeitern rund
7.500 Kostenübernahmeanträge für ambulante Operationen. Hier wurden lt.
Pressemitteilungen schon viele Finanzierungszusagen erteilt, um die Versicherten
nicht zu verprellen. An anderer Stelle wird anders gehandelt, nämlich ein
Antrag auf Entziehung der Zulassung gestellt. Die immer wieder hochgehaltene
Freiberuflichkeit der Vertragsärzteschaft ist in der Vergangenheit sicherlich
immer mehr in Frage gestellt worden. Insbesondere unter Berücksichtigung
der Rechte der Ärzte aus Artikel 12 Grundgesetz (GG) müssen sicherlich die
Verpflichtungen, die dem einzelnen Arzt aufgebürdet werden, überdacht werden.
Zwingende Voraussetzung aus Art. 3 GG muss jedoch sein, dass Ärzte gleich
behandelt werden, unabhängig von der Zulassung in unterschiedlichen KV-Bezirken.