Bekannter Strafrechtler brandmarkt das GKV-System
2002 +++ Fritjof Haft +++ Quelle: gpk Sonder-Nr. 2/2002, 34-40Unter
der Überschrift "His
torische Fehlentscheidungen" zieht der Tübinger Jurist und
Lehrstuhlinh
aber für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechts-Informatik,
Prof. Dr. Fritjof Haft, eine kritische Bilanz des öffentlich-rechtlichen Gesundheitswesens
in Deutschland (Gesellschaftspolitische Kommentare gpk Sonder-Nr. 2/2002, 34-40).
Er beschreibt, dass nach Gründung des deutschen Reiches 1871 ein Industrieproletariat
entstand und die herrschende Klasse sich bedroht fühlte. Bismarck wollte diese
"soziale Frage" lösen. Die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883
sollte primär sozialpolitischen Zwecken dienen und die Arbeiterschaft befrieden.
Die durch Krankheit entstandene wirtschaftliche Not sollte gelindert werden.
Daher wurde die Zahlung von Krankengeld als Ausgleich für Lohnausfall eingeführt.
Es wurde eine Zwangsversicherung mit Zwangsbeiträgen eingeführt. Die sozialpolitischen
Überlegungen, die Bismarck dazu veranlassten, Krankenversicherung und Unfallversicherung
parallel zu betrachten, führten zu einer Methodik der Beitragsbemessung in der
Krankenversicherung, die mit elementaren Versicherungsgrundsätzen unvereinbar
war. Die Höhe der Beiträge richtet sich nämlich nach der Höhe des Bruttoarbeitsentgeltes
und nicht nach dem Risiko von z.B. bestimmten Vorerkrankungen, nach Alter und
nach Geschlecht, wie es in der Versicherungswirtschaft üblich ist. Das damals
verfolgte Prinzip des sozialen Ausgleiches führte zu einer gesetzlichen Zwangsversicherung
und Entmündigung der Arbeiterschaft, welche diese Entmündigung noch selbst bezahlen
mus
Die Krankenkassen wurden als Selbstverwaltungskörperschaften geschaffen, die
nicht der Fachaufsicht, sondern lediglich der Rechtsaufsicht unterlagen. Damit
wurde die Keimzelle für Funktionärswesen und Bürokratismus geschaffen. Im Kaiserreich
waren es die Sozialdemokraten, die hier ihre Pfründe sahen und fanden. Später,
1933, boten die Krankenkassen ein Arbeitsbeschaffungsreservoir für arbeitslose
"alte Kämpfer" der Nazis.
Durch das Gesetz von 1883 mussten die Krankenkassen ärztliche Sachleistungen
bereitstellen. Hierfür gab es kein Vorbild. In diesem Prinzip drückt sich erneut
die Entmündigung der Arbeiter aus, denen ein verantwortungsvoller Umgang mit
Geld nicht zugetraut wurde.
1931 erklärte sich die Ärzteschaft bereit, die gesamte ärztliche Behandlung
einschließlich ärztlicher Sachleistung und Wegegebühren gegen Überlassung eines
bestimmten Prozentsatzes der wechselnden Einnahmen der Kassen zu übernehmen.
Das ganze Risiko der unvorhersehbaren Entwicklung der Krankenversicherung sollte
also auf die Ärzte übergehen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen wurden Körperschaften
des öffentlichen Rechts. Alle Kassenärzte gehörten ihr zwangsweise an. Die Verquickung
dieser öffentlich-rechtlichen Institutionen mit dem privaten, wirtschaftliche
Interessen verfolgenden Hartmannbund war perfekt: Der Vorstand des örtlichen
Hartmannbundes wurde Vorstand der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung.
1933 ermöglichten es die Nazis, missliebige Personen aus öffentlichen Ämtern
zu entfernen. Hiervon wurden auch die sozialdemokratisch dominierten Krankenkassen
betroffen. Die Krankenkassen wurden dann zu einem Arbeitsbeschaffungsprogramm
für stellungslose "alte Kämpfer" der Nazi-Parteien.
Nach 1945 wurde das alte System bis an die Grenze einer Volksversicherung erweitert.
Die Ärzteschaft hat sich daran gewöhnt, den Kassenpatienten als finanziell entmündigten
Kunden zweiter Klasse zu behandeln. Da der Patient nicht erfährt, was der Vertragsarzt
abrechnet, ist der Abrechnungsbetrug systembedingt vorprogrammiert. Dass Eigenschaften,
die den Erfolg einer Volkswirtschaft ausmachen, als "übermäßige Ausdehnung der
ärztlichen Tätigkeit" gesetzlich denunziert und mit Honorarkürzungen bestraft
werden, ist ein Unikum, welches es in keinem anderen Beruf gibt.
Aus der Analyse der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung zieht Prof.
Haft folgende Schlüsse: