Auszüge:
In den siebziger Jahren kämpfte sie als Maoistin gegen die SPD. Der Verfassungsschutz hatte sie im Visier, sie riskierte das Berufsverbot. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt spricht erstmals ausführlich über ihr rotes Jahrzehnt.
Der Verfassungsschutzbericht der Regierungszeit Helmut Schmidts schreibt über das Jahr 1976: „Im KBW, der nach wie vor den ‚bürgerlichen Staatsapparat‘ zerschlagen und über die ‚proletarische Revolution‘ gewaltsam die ‚Diktatur des Proletariats‘ erreichen will (...), kam es zu heftigen Richtungskämpfen.“ Am 16. September 1976 mitten im Wahlkampf der damals 27-jährigen Aachener KBW-Bundestagskandidatin Ulla Schmidt titelt die Kommunistische Volkszeitung „Ewiger Ruhm dem Vorsitzenden Mao Zedong, Führer und Lehrer des chinesischen Volkes, Lehrer des internationalen Proletariats“ und druckt ein Kondolenzschreiben an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas als Aufmachertext der ersten Seite.
„Das waren bewegte Zeiten damals“, resümiert Ulla Schmidt heute kurz und knapp.
Weil der KBW eine mit Weltverbesserer-Impetus öffentlich auftretende und mit eigenen Blättern publizierende, straff organisierte Kaderorganisation war, die im Gegensatz zu anderen Gruppen weder konspirativ noch mit Decknamen agierte und so für den Verfassungsschutz sehr transparent war, traf viele im Lehramt stehende Mitglieder in jenen Jahren das Berufsverbot, ermöglicht durch den noch von der Brandt-Regierung 1972 verabschiedeten Extremistenbeschluss genannt: Radikalenerlass. Im Jahr 1976 kandidierte die Referendarin Ulla Schmidt im katholischen Aachen erstmals bei einer Bundestagswahl. Schmidts Gegenkandidat war Dieter Schinzel von der SPD. Er sollte später zum politischen Ziehvater der erfolgreichen, mit satten Aachener Direktmandaten in den Bundestag gewählten SPD-Abgeordneten und späteren Ministerin werden. Ein langer Weg.
Die Sozialdemokratie diente dem KBW im Jahr 1976 als Feindbild: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten.“ Die angehende Lehrerin wurde ihrerseits von der Gewerkschaft ausgeschlossen, in der sie sich schon während des Studiums engagiert hatte. 1976 wurde das Todesjahr von Mao Zedong gefeiert, dem vermeintlichen Helden, von dem sie glaubten, er habe in China einen „humanen Sozialismus“ etabliert, wie Ulla Schmidt diese kollektive Naivität beschreibt. „Das erschüttert mich im Nachhinein am meisten, dass wir das geglaubt haben.“ Dass sie die Unterdrückung nicht gesehen habe.
Im Jahr 1976 ist die chinesische Kulturrevolution beendet und Ulla Schmidt hat ihr zweites Staatsexamen abgeschlossen. Sie lebt getrennt von ihrem Mann, einem ehemaligen Führer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und ist allein erziehende Mutter einer fünf-jährigen Tochter.
Als Arbeiterkind passte Ulla Schmidt nie so ganz typisch in die von Bürgerkindern geprägte K-Szene, erzählen Weggefährten, „die war immer schon down-to-earth und nicht so verrückt wie die anderen.“ Sie habe dann früher begriffen, dass dies ein falscher Weg sei, erzählt ein Mitstreiter, heute graue Eminenz der Aachener Grünen.
Eine Exotin unter privilegierten Akademikersprösslingen. Ihre Tochter besucht einen kirchlichen Kindergarten. Schmidt bewirbt sich als Grund- und Hauptschullehrerin und kandidiert gleichzeitig für den Bundestag im Namen einer K-Gruppe, eine damals gewagte Kombination.
Als Grund- und Hauptschullehrerin wird sie 1976 nicht in den Schuldienst aufgenommen. Sie hatte sich geweigert zu unterschreiben, niemals Mitglied einer kommunistischen Gruppe zu sein. In der Parteizeitung vom 15.Juli 1976 wird sie zur Heldin stilisiert, die sich in einem als Broschüre gedruckten offenen Brief an den Regierungspräsidenten geweigert hatte, sich auf das Grundgesetz vereidigen zu lassen.
Die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lässt sich nicht beirren. „Als ehemaliger K-Gruppler hat man taktisches Geschick entwickelt, man kann gut reden und argumentieren“, so beschreibt der einstige KPD-Vorsitzende und heutige taz-Journalist Christian Semler den erlernten Vorteil etwa gegenüber den Funktionären der klassischen Volksparteien, die nichts anderes kennen. Man kann sich Schmidt gut vorstellen in einer Runde von aggressiven Vertretern der Ärzteschaft, Privatkassen und der Pharmaindustrie. Mit ihnen gegen eine Zweiklassenmedizin zu streiten, für die Beibehaltung des Solidarprinzips im Gesundheitssystem, gegen die schlechtere Behandlung von gesetzlich Versicherten. Die Kampfeslust sitzt tief.
Ulla Schmidt wendet sich nach dem Deutschen Herbst 1977 vom KBW ab. In ihren Augen hatte sich die Partei nicht scharf genug vom RAF-Mord an Hanns Martin Schleyer distanziert. „Wie man damals versuchte, mit Gewalt politische Ziele durchzusetzen, das hat mich erschreckt.“ Ab diesem Zeitpunkt verliert der Bund laufend Mitglieder. Der KBW-Vorsitzende fährt zu Pol Pot nach Kambodscha, um anschließend den Massenmörder zu verherrlichen. Eine bereits abgespaltene realpolitisch orientierte Gruppe um Ralf Fücks wird zur Gründergeneration der Grünen. Dass Ulla Schmidt bei den Sozialdemokraten landet, wirkt ungewöhnlich. Aber letztlich waren es nur drei Jahre zwischen 1975 und 1978, in denen sie sich kommunistisch engagierte, während ihre Kirchen- und Gewerkschaftsprägung stärker wirkte.