Es ist erstaunlich, dass die Regierung an dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) eisern festhält, obwohl sich die Sachverständigen sämtlicher Verbände und Institutionen gegen dieses Gesetz ausgesprochen haben, weil es für alle Betroffenen überwiegend Nachteile bringt. Es kann also nicht am gesundheitspolitischen Sachverstand der Bundesregierung liegen, dass die Regierung stur an dem Gesetz festhält. Wenn es keine fachlichen Gründe gibt, die zur Durchpeitschung dieses Gesetzes durch den Bundestag zwingen, dann müssen es politische sein. Welche?
Tatsache ist, dass durch das GKV-WSG die Selbstverwaltungsorgane des Gesundheitswesens entmachtet und zu abhängigen Behörden des Staates degradiert werden. Die Kassen und KVen verlieren also alle Freiheiten, die sie als Selbstverwaltungsorgane bislang auszeichneten. Für diese Degradierung der Selbstverwaltungsorgane gibt es nur eine Erklärung: Es ist Zwang von außen, der die Bundesregierung treibt - es ist europäisches Recht.
Wenn die Krankenkassen und die KVen etwas „am Markt bewegen“, dann sind sie Unternehmen nach europäischem Recht und unterliegen europäischem Kartellrecht. Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Dilemma, und diesen haben Koenig (Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung ZEI der Universität Bonn) und Sander (2000, arzt-in-europa) aufgezeigt: Möglich ist die Beibehaltung der Organisation des deutschen Gesundheitswesens, so schreiben sie,
„Das Bundesgesundheitsministerium hat (...) über die Kartellrechtswidrigkeit des gegenwärtigen Festbetragsfestsetzungsverfahrens die gemeinschaftsrechtskonforme Umgestaltung des Festbetragsfestsetzungsverfahrens angekündigt und eine Neuregelung vorgeschlagen, deren Kern die Festsetzung der Festbeträge durch Rechtsverordnung ist“. (arzt-in-europa).
Das GKV-WSG stellt also genau die Umsetzung dieser Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahre 2000 dar.
Was bedeutet das?
Die damalige Rot-Grüne Bundesregierung hat im Jahre 2000 festgelegt, dass Deutschland ein nationales Gesundheitssystem statt eines freiheitlich-europäischen Systems haben soll.
Wahrscheinlich hat es auch eine feste Zusage der Bundesregierung an die Europäische Kommission gegeben, um der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Kartellrechtsverletzung (s. oben) zu entgehen. Die jetzige Koalitionsregierung aus SPD und CDU verfolgt die Ziele von 2000 entweder aus ideologischer Überzeugung (SPD) oder fühlt sich an die Zusage von 2000 gebunden (CDU?); deshalb schlägt sie alle Argumente der Sachverständigen in den Wind und hält an der Verstaatlichung des Gesundheitssystems fest. Das bedeutet aber auch, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Verstaatlichung des Gesundheitssystems mitmacht; sie gibt sogar die freie Marktwirtschaft von Ludwig Erhard auf. Beide großen Parteien verdummen das Volk und seine Sachverständigen, indem sie nicht auf die Verpflichtung der Deutschen hinweisen, Europäisches Recht zu befolgen. Sie lassen das Volk nicht zwischen einem staatlichen und einem frei-marktwirtschaftlichen, „europäischen“ Gesundheitssystem entscheiden, sondern geben allein das staatliche Gesundheitssystem vor.
Der Grund für dieses undemokratische Verhalten dürfte sein, dass ein staatliches Gesundheitssystem immer Macht für die jeweils herrschende Partei bedeutet. Jede der beiden großen Parteien möchte bei der nächsten Bundestagswahl auch die Macht über dieses staatliche Gesundheitssystem erlangen, denn mit der Gesundheitspolitik lassen sich Wählerstimmen gewinnen.
Dieses Gesetz offenbart das reine Machtstreben der beiden großen Parteien, die sich beide nicht scheuen, auch gegen europäische Prinzipien zu verstoßen und dieses noch vor und während der EU-Präsidentschaft von Deutschland!
Was bleibt zu tun?
Es ist offensichtlich, dass die Krankenkassen und die KVen nicht als Selbstverwaltungsorgane überleben können, denn die Konstruktion von halb-staatlichen Behörden (Selbstverwaltungsorganen), wie sie in Deutschland bzw. Preußen mit den Stein-Hardenberg'schen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts umgesetzt wurde, ist in den Europäischen Verträgen nicht berücksichtigt (arzt-in-europa). Wenn die Krankenkassen und KVen ein Eigenleben führen wollen, dann müssen sie den Behördenstatus aufgeben und privatisiert werden. Sie werden dann wieder die Interessenvertretung ihrer Mitglieder, nämlich der Versicherten und der Ärzte.
Wenn die Selbstverwaltungsorgane nicht verstaatlicht werden wollen, bleibt ihnen nur die Flucht nach vorn, nämlich nach Europa: Sie müssen das Gesetz verhindern oder seine Umsetzung boykottieren. Diesen Boykott können die niedergelassenen Ärzte unterstützen, indem sie in ihren Praxen unternehmerische Maßnahmen ergreifen, die das alte Ziel verfolgen „Keine Leistungen in roten Zahlen“ (arzt-in-europa). Letztendlich muss der Deutsche Bundestag den Sicherstellungsauftrag an die KVen und Krankenkassen zurücknehmen und eine Basisversicherung auf dem Niveau der meisten europäischen Staaten mit freiwilligen Zusatzversicherungen einführen, wie es das Europäische Parlament 2000 beschlossen hat (arzt-in-europa).