"Diese Reform ist für Versicherte und nicht für Leistungserbringer" damit meinte die Bundeskanzlerin Angela Merkel das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) (Ärzte Zeitung vom 23.11.2006). Ist diese Reform wirklich für Versicherte?
Wesentlich Eckpunkte des GKV-WSG sind:
Kassenärztliche Vereinigungen (KV)
Die KVen werden entmachtet, z. B. bezüglich der Möglichkeit, Integrierte Verträge abzuschließen.
Der Bewertungsausschuss, in dem die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen die Bewertungen des EBM 2000plus vornehmen, wird durch ein angeblich neutrales, professionelles Institut ergänzt.
Die Vertragsärzte werden zu einer Gleichbehandlung von GKV-Versicherten, im Basistarif Versicherten und Privatversicherten gezwungen, und das auf eigene Kosten.
Was das bedeuten kann, macht eine Überschlagsrechnung deutlich:
Durch das GKV-WSG werden die Krankenkassen entmachtet, denn sie können keine Mitgliedsbeiträge mehr festsetzen. Dieses erledigt ein staatlicher Gesundheitsfonds. Er ist Ausdruck der Abschaffung der Selbstverwaltung durch dieses Gesetz.
Durch den voraussehbaren Wegfall der Beihilfeberechtigten, die in den Basistarif übergehen sollen, wird die PKV 50 % weniger Mitglieder haben. Dieses dürfte voraussichtlich einen durchschnittlichen Verlust von 22.600 EUR pro Praxis bedeuten (Köhler, Ärzte-Zeitung vom 25.10.2006).Damit wird der Status der als Freiberufler tätigen Ärzte unterhöhlt, offenbar sollen Freiberufler abgeschafft werden.
Die Krankenhäuser sollen eine Zwangsabgabe der Kliniken in Höhe von 500 Millionen Euro erbringen. Ob die Krankenhäuser diese Last überhaupt werden schultern können, ist ungewiss; denn das große Krankenhaussterben hat ja schon begonnen und es wird vorausgesagt, dass im kommenden Jahrzehnt ca. 25 % der Krankenhäuser wegrationalisiert werden (http://www.mao-bao.de/artikel/2005SB_ErnstYoung.htm).
Angeblich hat die Pharmaindustrie hohe Verluste durch die vom Staat festgelegten Festbeträge für Arzneimittel. Genaue Berechnungen wurden offenbar nicht veröffentlicht. Apotheker befürchten die Aushöhlung bzw. Abschaffung ihres freiberuflichen Status durch das Reformgesetz.
Die Hilfsmittelhersteller sind überwiegend mittelständische Betriebe und fühlen sich ebenfalls als Verlierer des Reformprozesses.
Die aus dem Gesetz abzuleitenden Rechtsansprüche auf Reha-Behandlung, Palliativ-Behandlung sowie Gleichbehandlung von GKV- und Privatpatienten und die entstandenen Kosten werden erst in den nächsten Jahrzehnten realisiert werden. Damit gehen diese Kosten zu Lasten nachfolgender Generationen.
Das GKV-WSG bezweckt offensichtlich eine nationale Abschottung unseres Gesundheitssystems, ähnlich wie es in England, Schweden und Dänemark besteht. Ein nationales Gesundheitssystem bringt weniger Dienstleistungsfreiheit und weniger Wettbewerb und ist damit gegen die Grundfreiheiten der Europäischen Union gerichtet.
Das Gesetz geht also zu Lasten der Europäischen Einigung.
B. Das GKV-WSG bringt angeblich Vorteile für die Versicherten
Den GKV-Versicherten wird durch das Gesetz eine bessere Behandlung z. B. bei der Reha- und Palliativmedizin sowie eine „optimale Medizin“ wie bei Privatpatienten versprochen. Dafür werden die Beitragssätze erhöht. Selbst SPD-Gesundheitsexperten wie Eike Hovermann sehen die Gefahr, dass die Beitragssätze in 2007/2008 bis 15,8 % ansteigen werden (http://www.deutschesaerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=53348).
Dieses dürfte also ein Anstieg der Beiträge um etwa 10 % sein aus Sicht der Versicherten sicher kein Vorteil des GKV-WSG.
Was aber, wenn die bessere Behandlung in den Arztpraxen und bei der Reha- und Palliativmedizin sich nicht realisiert, z. B. weil GKV-Patienten in Arztpraxen doch längere Wartezeiten haben? Wenn also die Umsetzung der Reform von den Ärzten boykottiert wird? Dann ist dieser vermeintliche Vorteil des GKV-WSG verpufft und es bleiben nur 10 % höhere Mitgliedsbeiträge. Deshalb wird die Reform mit Wahrscheinlichkeit auch zu Lasten der Patienten gehen.
Durch das Reformgesetz gewinnt der Staat Macht über das Gesundheitssystem, und dieses kostenlos und unter Missachtung europäischer Grundfreiheiten. Denn die Regierung hat in dem Gesetz festgelegt, dass nicht mehr Geld ins System kommt. Ein verstaatlichtes Gesundheitswesen hat jedoch den Vorteil, dass die jeweils regierende Partei Wählerstimmen für sich mobilisieren kann. Die Abschaffung der Selbstverwaltungsorgane könnte den Regierenden recht sein, weil sie lästige Kritiker, besonders unter den Freiberuflern, los wird und es sich leichter in einem autoritären Regime regieren lässt.
In Abwandlung des Ausspruchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte man formulieren „Diese Reform ist für den Staat, nicht für die Leistungserbringer und wahrscheinlich auch nicht für die Versicherten“ gemacht worden. Das Gesetz ist ein Paradebeispiel dafür, dass der Staat eine Mitnahmementalität zu Lasten Dritter praktiziert, insbesondere zu Lasten nachfolgender Generationen.