Auszüge:
Zu einigen wesentlichen Inhalten der Eckpunkte im Einzelnen:
- In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sollen künftig mindestens 95 Prozent der Gesundheitsausgaben über einen „Gesundheitsfonds“ finanziert werden, der sich im Wesentlichen durch einheitliche Beiträge von GKV-Mitgliedern und Arbeitgebern speist, die gesetzlich fixiert werden sollen. Damit ändert sich an den derzeitigen Finanzierungsgrundlagen praktisch nichts; es wird lediglich eine neue zentrale Beitragseinzugsbürokratie geschaffen, die den bisherigen Risikostrukturausgleich neu organisiert. Über eine Weiterentwicklung des RSA findet sich in dem Eckpunktepapier keine Aussage.
- Insbesondere bleibt die Wachstumsschwäche der beitragspflichtigen Einnahmen zentraler Grund für ständige Beitragssatzsteigerungen in der Vergangenheit unverändert bestehen. Gegen künftige Beitragserhöhungen aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und der demographischen Entwicklung werden keinerlei Vorkehrungen getroffen. Staatlich verfügte Erhöhungen der Mitglieder- und Arbeitgeberbeiträge sind also vorprogrammiert.
- Zu Gesundheitsfonds soll es zusätzlich einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 1,5 Mrd. Euro (2008) bzw. 3,0 Mrd. Euro (2009) geben, der „in den Folgejahren weiter ansteigen (soll)“. Wenn es in den Eckpunkten heißt, dass die GKV „mit diesem „Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamtwirtschaftlichen Aufgaben (...) auf eine langfristig stabilere, gerechtere und beschäftigungsfördernde Basis gestellt (wird)“, kann dies nur als illusionäres Wunschdenken bezeichnet werden. Richtigerweise hatte der Gesetzgeber im GMG zur Entlastung der GKV für dieses Jahr einen Bundeszuschuss von 4,2 Mrd. Euro im Zusammenhang mit Leistungen bei Mutterschaft und Schwangerschaft beschlossen, der jedoch im nächsten Jahr schon wieder zurückgeführt werden soll der entscheidende Grund dafür, dass spürbare Beitragssatzsteigerungen unvermeidlich werden. Das ist Gesundheitspolitik nach Haushaltslage und begründet erhebliche Zweifel an der Verlässlichkeit pauschaler Steuerzuschüsse zur GKV-Finanzierung.
- Falls die Fondsmittel nicht ausreichen, die Ausgaben zu decken, sollen die Krankenkassen einen prozentualen oder pauschalen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben, der ein Prozent des Haushaltseinkommens nicht übersteigen darf. Dies wird zu erheblichem zusätzlichen Bürokratieaufwand führen, falls dafür ein zweites Inkassosystem benötigt wird. Außerdem wird der Kassenwettbewerb verzerrt, wenn die Ausgestaltung des Zusatzbeitrags in das Ermessen der Kassen gestellt wird und kein Risikoausgleich stattfindet. Damit wird jedoch verhindert, dass sich die Kassen im Wettbewerb vorrangig um die Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung bemühen.
- Zu der mit dem Gesundheitsfonds drohenden Entwicklung der GKV zu einer staatlichen Einheitsversicherung passt es, dass es abermals unterlassen wird, die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern in allen Versorgungssektoren konsequent wettbewerblich zu öffnen und durchgängig tragfähige Optionen für Selektivverträge zu schaffen. Auch hier droht ein Rückschritt, weil Kollektivverträge künftig „mit verbindlicher Wirkung für alle Krankenkassen“ von einem gemeinsamen GKV-Spitzenverband geschlossen werden sollen einer weiteren neuen Institution, die offensichtlich die staatliche Regulierung des Gesundheitssystems erleichtern soll.
- Für die vertragsärztliche Versorgung ist ein einheitliches Vergütungssystem mit einem „Bundes-Preisniveau“ vorgesehen, bei dem lediglich auf Landesebene „in jährlich stattfindenden kassenartenübergreifenden Verhandlungen Zu- oder Abschläge von diesem Preisniveau“ vereinbart werden können. Mit wettbewerblicher Orientierung der Gesundheitsversorgung hat dies erkennbar nichts zu tun. Weil sich die Preisfestsetzung an der Fixkostendeckung einer Standardpraxis orientieren soll, werden zudem keinerlei Anreize gesetzt, betriebswirtschaftlich effiziente Versorgungsformen zu entwickeln und umzusetzen.
- Die Segmentierung des Krankenversicherungsmarktes in gesetzliche und private Krankenversicherung mit ihren problematischen Selektionswirkungen an der Schnittstelle zwischen GKV und PKV bleibt im Grundsatz bestehen. Kein einziges der von Gesundheitsökonomen vorgelegten Reformkonzepte wie immer es konkret ausgestaltet sein mag hält einen segmentierten Krankenversicherungsmarkt für ein ökonomisch sinnvolles Modell.
Diese Beispiele machen deutlich, dass die vorgelegten Eckpunkte der Koalitionsparteien in keiner Weise geeignet sind, zukunftsweisende Antworten auf die Herausforderungen zu geben, denen das System der Gesundheitsversorgung und ihrer Finanzierung bereits auf kurze, erst recht aber auf längere Sicht begegnen muss.
Im Unterschied zur Wissenschaft muss Politik Kompromisse schließen. Wenn dabei jedoch die zentralen Reformziele in den Hintergrund treten, sind Kompromisse nichts wert; denn es geht nicht um den Nachweis politischer Kompromissfähigkeit, sondern um die Lösung von drängenden Problemen im Interesse eines funktionsfähigen Gesundheitssystems. Der jetzt vereinbarte Weg führt erkennbar weder zu mehr Wettbewerb um Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung, noch zu mehr Stabilität, Nachhaltigkeit und Verteilungsgerechtigkeit bei der Finanzierung, sondern geradewegs zu einem staatlich kontrollierten System mit mehr Bürokratie und Bevormundung bei unverändert steigenden Finanzierungslasten für Arbeitgeber und Versicherte.
Diese „Reform“ kann keine Probleme lösen, sondern wird sie noch weiter verschärfen: Sie darf auf keinen Fall so beschlossen werden!
den 12.7. 2006,
Die Mitglieder des Ausschusses für Gesundheitsökonomie im Verein für Socialpolitik:
[für Namensliste s. Originaldoument]